Aktive Überwachung beim lokalen Prostatakarzinom

Muss es immer eine Operation oder Strahlentherapie sein? Für viele Prostatakrebspatienten stellt die aktive Überwachung eine alternative Therapiemöglichkeit dar. Vorausgesetzt, die Krankheit befindet sich noch im Frühstadium und die Betroffenen halten sich an regelmäßige Kontrolluntersuchungen.

Entscheiden sich Arzt und Patient gemeinsam gegen eine aktive Behandlung des Prostatakarzinoms, wie Operation oder Strahlentherapie, kommen zwei Strategien in Frage. So wird beim sogenannten abwartenden Beobachten (watchful waiting, WW) – wie der Name sagt – der Patient langfristig so lange beobachtet, bis der Tumor Krankheitszeichen (Symptome) zeigt. Dann wird eine Symptom-lindernde (palliative) Behandlung begonnen. Im Gegensatz dazu kann die sogenannte aktive Überwachung (active surveillance, AS) grundsätzlich eine heilende (kurative) Behandlung zur Folge haben. Allerdings wird diese unter strenger Kontrolle solange aufgeschoben, bis die Erkrankung fortschreitet oder der Patient eine Therapie wünscht.

Übertherapien vermeiden

Ziel der aktiven Überwachung ist es, unnötige Behandlungen – also Übertherapien – bei Patienten zu vermeiden. Unmittelbar damit hängt zusammen, dass diesen Patienten mögliche Nebenwirkungen einer Therapie, wie Inkontinenz oder Impotenz, erspart bleiben und eine hohe Lebensqualität erhalten wird.

Studien und Leitlinien sind sich einig, dass sich die aktive Überwachung für Patienten anbietet, deren Erkrankung in einem frühen Stadium entdeckt wurde, der Tumor langsam wächst und wahrscheinlich weder zu Lebzeiten des Betroffenen zu Beschwerden noch zum Tod führt. Dennoch war lange Zeit nicht einheitlich geregelt, anhand welcher Kriterien sich Arzt und Patient für oder gegen die aktive Überwachung bzw. für eine Therapie entscheiden sollten.

Strenge Voraussetzungen

Auch wenn es noch keinen internationalen Konsens darüber gibt, hat die S3-Leitlinie zur Früherkennung, Diagnose und Therapie des Prostatakarzinoms in der Version von 2009 erstmals alle relevanten Studien zum Thema ausgewertet. Die daraus abgeleiteten Empfehlungen für den Beginn, die Kontrolle und die Beendigung der aktiven Überwachung gelten als wichtiger Anhaltspunkt für die urologische Praxis.

Demnach kann die Strategie der aktiven Überwachung bei Patienten mit folgenden Krankheitsmerkmalen zur Anwendung kommen:

  • PSA-Wert ≤10 ng/ml,
  • Gleason-Score ≤6,
  • T-Stadium T1c (Tumor durch Nadelbiopsie gefunden) und T2a (Tumor in maximal der Hälfte einer Prostataseite),
  • Tumorbefall in maximal zwei Proben der Biopsie,
  • Tumorbefall in höchsten 50 Prozent einer Probe.

Auch die aktualisierte Leitlinie von 2014 folgt diesen Voraussetzungen, ergänzt sie jedoch um zwei weitere Empfehlungen. So wurde die Indikation für eine aktive Überwachung auf zufällig – nicht im Rahmen einer gezielten Biopsie – entdeckte (inzidentelle) Prostatakarzinome der Stadien T1a und T1b ausgeweitet. Zudem können Patienten mit einem Gleason-Score 7a (3+4), die eine aktive Überwachung wünschen, in Studien eingeschlossen werden, eine Routineanwendung wird jedoch weiterhin nicht empfohlen.

Regelmäßige Kontrollen

Werden Patienten über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten aufgeklärt, sollte die Möglichkeit der aktiven Überwachung insbesondere denjenigen erläutert werden, die jünger als 70 Jahre alt sind, keine oder nur geringe Begleiterkrankungen haben sowie eine Lebenserwartung von mehr als zehn Jahren.

Zu der intensiven Aufklärung durch den Arzt gehört außerdem, auf die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen hinzuweisen, welche die aktive Überwachung mit sich bringt, um ein mögliches Fortschreiten der Erkrankung frühzeitig zu erkennen. Auch hierzu macht die Leitlinie genaue Vorgaben:

  • Tastuntersuchung (digitale rektale Untersuchung, DRU) und PSA-Bestimmung in den ersten beiden Jahren alle drei Monate; bleibt der PSA-Wert stabil, kann der Zeitraum anschließend auf sechs Monate verlängert werden,
  • wiederholte Biopsie (Rebiopsie) in den ersten drei Jahren alle zwölf bis 18 Monate, später bei stabilem Befund alle drei Jahre.

Ist eins der Einschlusskriterien nicht mehr erfüllt oder sollte sich die PSA-Verdopplungszeit auf weniger als drei Jahre verkürzen, sollten dem Patienten zu einer Beendigung der aktiven Überwachung geraten und mit ihm alternative Therapiemöglichkeiten besprochen werden.

Körperliche und seelische Sicherheit

Die strengen Einschluss- und Kontrollkriterien bieten dem Patienten doppelte Sicherheit: Zum einen sollen sie bezüglich der Überlebensrate nicht schlechter gestellt sein als Betroffene, die sich einer Operation oder Strahlentherapie unterziehen. Zum anderen helfen die regelmäßigen Untersuchungen sowie die Rücksprache mit dem Arzt dabei, die seelische Belastung, mit einer unbehandelten Krebserkrankung zu leben, gering zu halten.

Sollte ein Patient trotz positiver Untersuchungsergebnisse dennoch eines Tages den Wunsch verspüren, die aktive Überwachung zu beenden und eine andere Therapie zu wählen, kann er sich damit selbstverständlich jederzeit an seinen behandelnden Arzt wenden. Dieser kann dann über alle Optionen inklusive Nutzen und Risiken aufklären und ein individuelles Vorgehen empfehlen.

Aktuelle Erkenntnisse

Auch wenn die aktive Überwachung nun bereits seit einigen Jahren weltweit zum Therapiespektrum des Prostatakarzinoms gehört und auch immer häufiger angewendet und vom Patienten akzeptiert wird, befassen sich nach wie vor zahlreiche Studien mit der Effektivität der Strategie, der Standardisierung der Kriterien sowie den möglichen Nachteilen.

Sorgen machen dabei die Ergebnisse einer aktuellen US-amerikanischen Untersuchung, wonach sich große Lücken im Kontrollverlauf zeigten: Lediglich knapp fünf Prozent der Patienten mit aktiver Überwachung wurden in den zwei Jahren Studienzeitraum so engmaschig kontrolliert, wie es die nationalen und internationalen Empfehlungen vorsehen. Das heißt, Patienten, die von vornherein eine kurative Therapie erhalten hatten, wurden häufiger kontrolliert als die nur überwachten Patienten, bei denen diese Kontrolle eigentlich wichtigster Strategiebestandteil sein sollte.

Wichtiges Fazit für die Praxis: Patienten darf eine aktive Überwachung nur dann als Alternative angeboten werden, wenn die Durchführung der regelmäßigen Untersuchungen sichergestellt werden kann und sich der Patient der möglichen gesundheitlichen Konsequenzen bewusst ist, wenn er sich nicht an die Empfehlungen hält.


Autorin: Anne Göttenauer, 25.10.2016