Nervschonende Operation

Die meisten Patienten treffen eine vernünftige Entscheidung, wenn es um die Schonung der Erektionsnerven bei einer Prostatakrebsoperation geht, vorausgesetzt sie werden vom Arzt umfassend aufgeklärt.

An der Prostata entlang verlaufen zwei Gefäß-Nerven-Bündel, meist hinten seitlich (s. Anatomie die Prostata). Sie enthalten auch Nervenfasern, die für die Erektion (Gliedversteifung) wichtig sind. Deshalb versucht man, bei einer Prostatakrebsoperation möglichst ein oder beide Bündel zu erhalten. Nach einer solchen nervenschonenden radikalen Prostatektomie (NS-RPE) ist daher die Gefahr der erektilen Dysfunktion(Störung der Gliedversteifung) geringer, ebenso das Risiko für eine Harninkontinenz (unwillkürlicher Harnabgang).

Allerdings befindet sich Prostatakrebs oft im Bereich der Bündel und durchbricht die Prostatakapsel bevorzugt an Stellen, an denen Gefäße und Nerven aus den Bündeln durch sie hindurchtreten. Deshalb steigt bei einer nervenschonenden Operation die Gefahr, dass der Tumor unvollständig entfernt wird, wenn man die Bündel belässt, vor allem bei lokal fortgeschrittenem Prostatakrebs.

Gründe für die Studie und Durchführung

Derzeit gibt es keine allgemein anerkannten Kriterien für eine nervenschonende radikale Prostatektomie Operation (NS-RPE). Zudem ist der Wunsch zur Erhaltung der Sexualfunktion bei den Betroffenen höchst verschieden ausgeprägt: Für manche ist sie selbst bei hohem Risiko für eine Kapselüberschreitung ausschlaggebend, für andere hat dagegen die vollständige Tumorentfernung absolute Priorität. Inwieweit der Patient in die Entscheidung einbezogen wird, ist ebenfalls sehr verschieden: Es entscheiden der Arzt oder der Patient alleine, oder aber beide gemeinsam (engl. shared decision making). Im letzteren Fall ist die Zufriedenheit des Patienten mit dem Ergebnis am größten, selbst bei einem ungünstigen Ausgang.

Erstmals wurde jetzt eine Studie durchgeführt, in der die Patienten aktiv über die Nervenschonung bei einer RPE mit entscheiden konnten. Untersucht wurde dabei vor allem, ob Betroffene nach angemessener Aufklärung eine vernünftige Entscheidung treffen können oder ob man diese besser dem Arzt überlässt.

In die Studie eingeschlossen wurden 150 Männer, die sich 2008 einer Roboter-assistierten radikalen Prostatektomie (RA-RPE) unterzogen. Zusätzlich zum allgemeinen Gespräch vor der Operation erhielten sie eine standardisierte Aufklärung. Diese umfasste unter anderem die Methode der Nervenschonung, das kapselüberschreitende Wachstum von Prostatakrebs, die Möglichkeiten zur Wiederaufnahme der sexuellen Aktivität nach der Operation bei denen, die vorher keine Erektionsstörung hatten, sowie die nötige adjuvante (anschließende) Bestrahlung bei unvollständiger Entfernung des Tumors, auch infolge der Nervenschonung.

Das individuelle Risiko für eine kapselüberschreitende Ausbreitung des Tumors wurde anhand eines Nomogramms (spezielle Tabelle) bestimmt und in niedrig (< 20%), mäßig (20-50%) und hoch (> 50%) eingeteilt. Danach entschied sich jeder Patient für oder gegen die Nervenschonung. Die Operation erfolgte dann wunschgemäß, sofern dabei keine massive Kapselüberschreitung entdeckt wurde.

Ergebnisse und Beurteilung

Im Vergleich zu Männern ohne nervschonende Operation waren Männer mit nervschonender Operation im Schnitt etwas jünger und nicht so oft schon vorher von einer erektilen Dysfunktion betroffen; außerdem stellte sich ihr Tumor nach der Operation seltener als lokal fortgeschritten oder als unvollständig entfernt heraus (s. Tabelle 1). Je höher das Risiko für eine kapselüberschreitende Ausbreitung des Tumors beurteilt worden war, desto eher entschieden sich die Männer gegen eine Nervenschonung bei der radikalen Prostatektomie (s. Tabelle 2).

Tabelle 1: Daten über Patienten, die sich einer radikalen Prostatektomie mit beziehungsweise ohne Nervenschonung (NS) unterzogen hatten.

Patienten nach radikaler Prostatektomie 

Patienten nach radikaler Prostatektomie  mit NS  ohne NS 
Durchschnittsalter 59 Jahre 65,5 Jahre
Vorherige erektile Dysfunktion 30% (30/100)  64% (23/36)
Lokal fortgeschrittener Tumor (pT3-4) 14% (15/109)  59% (24/41)
Unvollständige Tumorentfernung (R+) 13% (14/109)  27% (11/41)


Tabelle 2: Entscheidung für beziehungsweise gegen eine Nervenschonung (NS) bei der radikalen Prostatektomie in Abhängigkeit vom Risiko für eine kapselüberschreitende Ausbreitung des Tumors vor der Operation.

Entscheidung für radikale Prostatektomie  mit NS ohne NS
Bei jedem Ausbreitungsrisiko 73% (109)  27% (41)
Bei niedrigem Ausbreitungsrisiko (<20%) 88% (81)  12% (11)
Bei mäßigem Ausbreitungsrisiko (20-50%) 59% (22)  41% (15)
Bei hohem Ausbreitungsrisiko (>50%) 25% (6)  75% (15)
Bei sehr hohem Ausbreitungsrisiko (>70%) 0% (0)  100% (41)

Insgesamt waren die Ergebnisse vergleichbar mit anderen Studien. Die Entscheidung hing stark von der Gefahr einer Kapselüberschreitung ab, bei niedrigem und mittlerem Risiko spielten das Alter des Betroffenen und seine Sexualfunktion vor der Operation eine große Rolle, bei hohem hingegen der Wunsch nach vollständiger Tumorentfernung. Nur einige wenige Patienten wählten die „unvernünftige“ Alternative, die weitaus meisten jedoch die in ihrem Fall „vernünftige“, was die Befunde nach der Operation bestätigten.

Schwachpunkte an ihrer Studie, so die Autoren, seien das Fehlen einer Kontrollgruppe, in der die Entscheidung vom Arzt getroffen wurde, sowie dass die Zufriedenheit der Patienten mit ihrer Wahl nicht untersucht wurde. Zudem sei trotz standardisierter Aufklärung nicht auszuschließen, dass der Arzt den Patienten unbewusst beeinflusst hat.

Fazit der Autoren

Patienten über die Nervenschonung bei radikaler Prostatektomie entscheiden zu lassen, ist eine neue und vernünftige Strategie. Sie führt nicht dazu, dass sich vermehrt Betroffene für ein nervschonendes Vorgehen entscheiden, die ein hohes Risiko für eine Kapselüberschreitung des Tumors haben. Nach einer angemessenen Beratung trafen die Studienteilnehmer eine vernünftige Entscheidung. Sie bevorzugten im allgemeinen die vollständige Tumorentfernung bei hohem Risiko für eine Kapselüberschreitung und den Erhalt der Sexualfunktion bei niedrigem. Die hier gezeigte Sicherheit könnte auch andere Ärzte dazu ermuntern, ihre Patienten verstärkt in die Entscheidung über Operationen einzubeziehen.