Beckenschmerzsyndrom (chronisch abakterielle Prostatitis)
Kennzeichen sind Schmerzen im Bereich des Beckens aus unklaren Gründen. Lassen sie sich der Prostata zuordnen, spricht man vom Prostataschmerzsyndrom. Die Beschwerden gleichen denen bei chronischer bakterieller Prostatitis.
Unter chronischem Beckenschmerz versteht man dauerhafte oder wiederkehrende Schmerzen (bei Mann oder Frau), die im Bereich des Beckens empfunden werden. Sie sind oft mit negativen Auswirkungen, beispielsweise auf die Psyche verbunden, ebenso mit anderen Symptomen wie Beschwerden beim Wasserlassen oder Störungen der Sexualfunktion.
Findet sich eine klassische Krankheit als Ursache (z.B. Infektion, Krebs), spricht man von einem krankheitsspezifischen Beckenschmerz. Hier steht die Behandlung der Grundkrankheit an erster Stelle (siehe z.B. chronische bakterielle Prostatitis, Prostatakarzinom). Sind hingegen keine krankhaften Veränderungen erkennbar, verwendet man die Bezeichnung chronisches Beckenschmerzsyndrom (CBSS, engl. chronic pelvic pain syndrome, CPPS). Nur das CBSS ist Gegenstand dieses Artikels.
Beim CBSS kann der Schmerz in einem einzelnen Organ oder Bereich empfunden werden (z.B. Harnblase, Prostata, Hoden, Damm), oder aber an mehreren Stellen, und es kann sogar mit allgemeinen Krankheitszeichen einhergehen (z.B. Erschöpfung). Ist ein Organ besonders betroffen, werden meist konkretere Bezeichnungen verwendet, zum Beispiel Blasen-, Beckenboden-, Hoden- oder Prostataschmerzsyndrom.
Definition und Häufigkeit des Prostataschmerzsyndroms
Als Prostataschmerzsyndrom (PSS, engl. prostate pain syndrome, PPS) bezeichnet man dauerhafte oder wiederkehrende Schmerzen im Bereich der Prostata über mindestens 3 Monate innerhalb der letzten 6 Monate, die sich durch Abtasten der Prostata auslösen lassen. Zudem darf es sich nicht um einen Krankheits-spezifischen Beckenschmerz handeln, es dürfen also keine Infektion und keine krankhaften Veränderungen in der Prostata oder deren Umgebung vorliegen.
Bei der Untersuchung finden sich keine Bakterien als Auslöser, jedoch manchmal Entzündungszellen im Prostatasekret oder im Sperma (s.u. bei Untersuchung). Deshalb wurden hier früher zwei Krankheitsbilder (mit zahlreichen Bezeichnungen) unterschieden: Die chronische abakterielle Prostatitis (Kongestionsprostatitis; Entzündungszellen vorhanden) und die Prostatodynie (Prostatopathie, nicht entzündliches Schmerzsyndrom des Beckens, Prostatakongestion, Prostatose, Beckenbodenmyalgie, vegetatives Urogenitalsyndrom = VUG; keine Entzündungszellen vorhanden). Da sich Untersuchung und Behandlung nicht unterscheiden, werden beide zum PSS zusammengefasst.
Zur Häufigkeit des PSS gibt es nur wenig Daten. Es macht etwa 70% aller Fälle von Prostatitis und 90% aller Fälle von chronischer Prostatitis aus. Betroffen sind 2-5% aller Männer. Etwa jeder siebte Mann erkrankt daran irgendwann im Laufe seines Lebens, wobei das Risiko mit dem Alter steigt.
Ursache und Entstehung des Prostataschmerzsyndroms
Die Ursache des PSS ist unklar. Möglicherweise entsteht es bei besonders anfälligen Männern, die einem oder – wahrscheinlicher – mehreren auslösenden Faktoren einmalig, wiederholt oder dauerhaft ausgesetzt sind. Was genau ein PSS auslösen kann, ist noch nicht völlig geklärt. Bisher wurden mehrere Faktoren vorgeschlagen, beispielsweise Infektionen, spezielle Erbanlagen, Veränderungen von Nerven und Muskeln, Erkrankungen des Immunsystems (körpereigene Abwehr) sowie psychische Mechanismen.
Diese Faktoren führen vermutlich zu einer Entzündungsreaktion und/oder einer Nervenschädigung, was den chronischen Schmerz verursacht. Letzterer verändert dann die Wahrnehmung und Verarbeitung von Schmerzen im Gehirn. Hierfür spricht, dass PPS-Betroffene am Damm empfindlicher sind als Gesunde. Dieser Mechanismus wirkt sich auf das psychische Befinden, Denken, Verhalten und Sexualleben aus und ist von anderen Schmerzerkrankungen her bekannt.
Krankheitszeichen beim Prostataschmerzsyndrom
Beim PSS werden die Schmerzen oft auch außerhalb der Prostata im Bereich des Beckens empfunden, zum Beispiel am Damm, im Rektum (Mastdarm), im Penis, in den Hoden oder im Unterbauch. Zusätzlich bestehen häufig Symptome am unteren Harntrakt (LUTS; an Harnblase oder Harnröhre, v.a. beim Wasserlassen) sowie Störungen der Sexualfunktion:
Die Liste möglicher Beschwerden ist lang und gleicht der bei chronischer bakterieller Prostatitis: Spannung oder Druck in der Dammgegend oder am After, Ziehen in den Leisten mit Ausstrahlung in die Hoden, Druck, Kälte oder Brennen hinter dem Schambein, Spannung im Kreuzbeinbereich, Stuhlunregelmäßigkeiten, Stuhldrang, Harndrang, erschwertes Wasserlassen, Brennen am Ende der Harnröhre, Nachträufeln von Harn, Restharngefühl, verminderte Libido („Lust“), Erektionsstörungen (erektile Dysfunktion), vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox) und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.
Psychische Symptome wie Ängste und Depressionen sind ebenfalls oft vorhanden. Sie beeinflussen die genannten Beschwerden und können die Lebensqualität in besonderem Maße beeinträchtigen.
Abgrenzung des Prostataschmerzsyndroms und Untersuchungen
Das PSS ist eine Diagnose, die gestellt wird, wenn bestimmte Schmerzen im Bereich der Prostata vorhanden sind und krankhafte Veränderungen in der Prostata und ihrer Umgebung fehlen (Genaueres s.o. bei Definition). Dies bedeutet, dass Krankheits-spezifische Beckenschmerzen (z.B. durch Infektionen, Krebs und Erkrankungen des unteren Harntrakts wie eine gutartige Prostatavergrößerung = BPS) ausgeschlossen werden müssen. Lässt sich der Schmerz nicht klar der Prostata zuordnen, sollte die Erkrankung nicht als PSS, sondern allgemeiner als chronisches Beckenschmerzsyndrom (CBSS, s.o.) bezeichnet und behandelt werden.
Grundlage der Diagnostik ist das sorgfältige Erheben der Anamnese (Krankengeschichte). Die Schwere des PSS, sein mögliches Fortschreiten, das Ansprechen auf die Behandlung und die Auswirkungen auf die Lebensqualität lassen sich nur mittels standardisierter Fragebogen genau erfassen (z.B. mit dem CPSI, engl. chronic prostatitis symptom index, und dem IPSS, internationaler Prostata-Symptomen-Score).
Einen speziellen Test für das PSS gibt es nicht. Deshalb dienen die Untersuchungen dazu, einerseits krankhafte Veränderungen nachzuweisen oder auszuschließen, die chronische Beckenschmerzen verursachen können, und andererseits Befunde zu erheben, die das PSS im konkreten Fall charakterisieren:
So soll zunächst eine körperliche Untersuchung erfolgen, einschließlich Abtasten der Prostata (digitale rektale Untersuchung, DRU) und eventuell der Beckenbodenmuskulatur. Dann sollte durch Messung des Restharns mittels Ultraschall (Sonographie) eine unvollständige Blasenentleerung ausgeschlossen werden (Hinweis auf eine Prostatavergrößerung, s. BPS). Die Bestimmung des PSA-Werts und der transrektale Ultraschall (TRUS) können dazu beitragen, Prostatakrebs auszuschließen.
Wichtig sind Urinuntersuchungen: Bei der klassischen Viergläserprobe oder in Urinproben, die vor und nach Prostatamassage gewonnen werden, finden sich im Prostatasekret und in den Proben nach Prostatamassage keine Krankheitserreger in nennenswerter Menge und in der Regel keine Entzündungszeichen. Letzteres gilt auch für das Sperma. Bei Beschwerden am unteren Harntrakt (v.a. beim Wasserlassen, s. LUTS) sollte eine Harnflussmessung (Uroflowmetrie) in Betracht gezogen werden.
Im Einzelfall können weitere Untersuchungen erforderlich sein, zum Beispiel Harnröhrenabstrich, Spiegelung von Harnröhre und Harnblase (Urethrozystoskopie), Röntgendarstellung des Harntrakts mit Kontrastmittel, Probeentnahme (Biopsie) aus der Prostata, proktologische Untersuchung (auf Mastdarmerkrankungen, z.B. Hämorrhoiden).
Behandlung
Da bei der Entstehung des Prostataschmerzsyndroms (PSS) zahlreiche Faktoren eine Rolle spielen können (s.o.), sind auch die Behandlungsmöglichkeiten entsprechend vielfältig. Die Therapie besteht meist aus einer Kombination verschiedener Methoden, die für jeden Patienten individuell zusammengestellt wird, unter Berücksichtigung möglicher Begleiterkrankungen. Infrage kommen im Wesentlichen Medikamente sowie physikalische und psychotherapeutische Verfahren, beispielsweise:
Alpha-Blocker: Bei einer Dauer des PSS von weniger als 1 Jahr
Antibiotika: Für mindestens 6 Wochen bei bisher unbehandelten Patienten mit einer PSS-Dauer von weniger als 1 Jahr
Entzündungshemmer: Nicht-steroidale Antirheumatika (engl. nonsteroidal anti-inflammatory drugs, NSAID; keine Kortikosteroide wie Cortison)
Phytopharmaka: Pflanzliche Medikamente wie Pollen-Extrakt, Quercetin
Pentosan-Polysulfat (pflanzlicher Schleimstoff)
Perineale extrakorporale Stoßwellen-Therapie: Behandlung mit Stoßwellen, die von außerhalb des Körpers auf den Damm einwirken
Elektroakupunktur
Nervenstimulation
Verhaltenstherapie
Operative Verfahren wie die TUIP (Einschneiden von Blasenhals und Prostata), TUR-P („Abhobeln“ der Prostata), TUNA (Nadel-Ablation der Prostata) oder RPE (radikale Prostatektomie) werden zur Behandlung des PSS nicht empfohlen.
Bei chronischem Beckenschmerzsyndrom (CBSS) werden weitere Medikamente (z.B. Schmerzmittel, Psychopharmaka) und viele andere physikalische und psychotherapeutische Verfahren verwendet. Auch hier wird die Therapie individuell zusammengestellt.
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